Das große Ganze
Text: Ralf Christofori

 
Branko Šmon wurde 1955 in Maribor, Slowenien geboren. Von 1978 bis 1985 
studierte er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Malerei und Zeichnung. Der Zeichnung ist er bis heute treu geblieben.
Die Malerei wurde ihm damals bald „zu eng, zu flach“, wie er sagt. Noch während
des Studiums experimentierte er mit anderen scheinbar kunstfernen Medien
und entwickelte die sogenannte „blower art“ – raumgreifende Installationen,
die er durch Ventilatoren in Bewegung versetzte.
Von Anfang an ging Šmon aufs Ganze. Und es ging ihm um das große Ganze:
um den Zusammenhang zwischen Natur und Kultur, Mensch und Technologie,
Wirtschaft und Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
 
Um diese Zusammenhänge bildnerisch in eine angemessene Form zu bringen,
hat Branko Šmon nicht nur die Malerei und das klassische Tafelbild hinter sich
gelassen sondern auch die angestammten Territorien des Kunstbetriebs.
Er realisierte internationale Projekte in den Metropolen New York und Moskau,
aber auch in Südkorea. Nicht selten hat seine Vorstellung dabei auch die
Grenzen des Denk- und Machbaren überschritten. Das bezeugt Šmons Projekt-
idee „welt weite Verkabelung“, in der er bereits 1988(!) die Möglichkeiten einer
„Kommunikation zwischen mobilen Menschen“ und eines globalen Systems
aus Informationsübermittlung und Datenspeicherung ausarbeitete. Was damals
noch als Vision erschien, ist heute fester Bestandteil unserer technologischen,
individuellen und gesellschaftlichen Konstitution. 1993 realisierte der Künstler
die Arbeit „INTER-INFO“ mit 24 roten Windsäcken, die er am Stuttgarter
Fernsehturm anbrachte und als „Signale der globalen Vernetzung“ verstanden
wissen wollte. Noch weiter trieb er diese Idee in den „VR-Köpfen“ von 1995.
Die Virtuelle Realität ist darin Faszinosum und Mutation zugleich, deren
Konsequenz unabsehbar: „Der verkabelte und vernetzte Mensch isoliert sich
zunehmend, er genügt sich selbst, lebt und reproduziert sich systemimmanent“,
kommentierte Branko Šmon seine Arbeit damals. Dass die Daten, Profile und
Bewegungen dieses vernetzten Menschen von mächtigen Wirtschaftskonzernen
und Verfassungsorganen rund um die Uhr beobachtet und gespeichert werden
– auch das hat Branko Šmon bereits 1989 in einer Serie von Zeichnungen und
Protestbriefen mit dem Titel „Creditreform-Datenspeicherung“ thematisiert.
 
Die Ausmaße der systemimmanenten Reproduktion und deren Auswirkungen
auf den Menschen und die Gesellschaft lassen sich auch im Wirtschafts- und
Bankensystem nur schwer ermessen. Branko Šmon macht sie trotzdem sichtbar.
Vier Jahre vor der Euro-Umstellung entwirft er das „Projekt CASH 2002“, einen
Glaskubus von 15 Metern Kantenlänge, der am Fuße der Bankentürme in
Frankfurt/Main aufgestellt werden sollte. Sein Inhalt: der gesamte DM-Banknoten-
bestand der Deutschen Bundesbank – geschredderte Geldscheine im Wert von
rund 230 Mrd. D-Mark, die mit der Einführung des Euro komplett wertlos sein
würden. Das Modell eines ähnlichen Projekts in Slowenien stellte Šmon 2008 in
Brüssel aus, anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft seines Geburtslandes.
 
Mögen die Arbeiten von Branko Šmon im Grundsatz systemkritisch und auch
visionär sein – sie zeugen auch von einer Leichtigkeit und Offenheit, die dem
Betrachter genügend Denk- und vorstellungsräume lassen. Zwar setzt er sich
intensiv mit Fakten, Konditionen und systemischen Zusammenhängen aus-
einander, aber er verleiht ihnen eine künstlerische Form, die eine andere Sicht-
und Denkweise nicht nur nahelegt, sondern grundlegend einfordert.
So entsteht auch dort, wo Mensch und Technik oder Technik und Natur
aufeinander treffen, bei Branko Šmon nicht etwas Naheliegendes sondern fast
immer etwas Unvorhergesehenes. Das trifft etwa auf den „Windzeichner“ zu,
den der Künstler 1995 zwischen zwei Windkrafträdern in Husum seine Arbeit
verrichten ließ: ein an einem Segel befestigtes Metallpendel, das wie eine Art
Radiernadel die Windbewegungen auf einer Kupferplatte festhielt. Und es gilt
genauso für den „Goldenen Atem“, den Šmon 2011 für eine Ausstellung im
Zeppelin Museum Friedrichshafen realisierte.
 
Ganz gleich also, ob er technische oder wirtschaftliche Aspekte, politische oder
gesellschaftliche Fragen thematisiert – Branko Šmon betrachtet jedes einzelne
System stets kritisch, nie jedoch isoliert. Vielmehr ist ihm daran gelegen die
Grenzen und Wirkkräfte zwischen den Systemen auszuloten und zu überschreiten.
Manchmal logisch, dann wieder energetisch, stets phänomenal und immer poetisch.
 
Ralf Christofori, 2014